Es riecht, als wäre eben im Steinofen gebacken worden. Meine Nase erinnert sich an Röstaromen von Weizenmehl und Hefe, damals auf dem Hof Lüdtke-Jüdefeld in Münster.

Gott, ist das lange her, als „Tante“, die unverheiratete Schwester des Bauern, dort zweimal die Woche je vier Riesenlaibe Brot für die große Familie aus dem Ofen zog. Auf jede Scheibe passten drei Spiegeleier. Am Ende eines langen Arbeitstages war das nichts weniger als ein Nasenorgasmus: das Brot, der Speck, die knusprig gebratenen Eier. Wobei, ich war anfänglich neun oder zehn oder so. Na jedenfalls war es ein wirklich gutes Gefühl.

Doch es ist: Eiche. Eichenmehl, frisch gesägt, um genau zu sein, das hier in der Luft hängt. In Eriks Werkstatt. Mehl von fünf Jahre lang an der Luft getrockneten Eichenbohlen. Von einer Eiche, die vermutlich älter ist als ich.

Acht Bohlen von je 3 Metern Länge und 5 Zentimetern Stärke, quer durch den Stamm gesägt, unbesäumt, hat Erik beim Weckesser ausgeguckt und bestellt. Der „Weckesser“ ist kein Vogelsberger Waldkobold, sondern der Holzhändler Heinrich Weckesser. Hoch oben im Vogelsberg, in Schotten, Ortsausfahrt Hoherrodskopf, nach 500 Metern links.

Beim Weckesser kriegst Du noch die Spezialitäten und Sonderposten, für die die großen und modernen Holzhändler mit so schönen Namen wie „Systemholz Altenstadt“ keine Zeit und keine Nerven mehr haben. Große Sägewerke, große Händler, keine Zeit. Kleine Sägewerke, kleine Händler, Liebe zum Kunden. Ein kurze Grundausbildung im Sägewerkshandwerk ist im Preis mit drin. Denn das ist er, der Heinrich: gelernter Sägewerksmeister.

Erik, der Tischler unseres Vertrauens, kauft nicht einfach eine Eiche am Telefon. Er fährt hin und und befingert sie mit den Augen, beäugt sie mit seinen Händen. Er tritt ganz nah an alle verdächtigen Stellen heran, schaut abwechselnd mit und gegen das Licht darauf und murmelt. Murmelt vermutlich magische Formeln seiner Druiden-Vorfahren. Da sind Astlöcher, Faulstellen und vor allem Trocknungsrisse. Die ziehen sich nicht nur an der Breit-, sondern – heimtückisch – auch an der Schmalseite durch das Kernholz.

Risse, Löcher, Flecken, Faulstellen und: Splint, also der junge, helle, noch nicht verhärtete äußere Ring um das Kernholz, müssen auf der Säge abgetrennt werden. Aus den anfänglich stolzen Bohlen werden so ganz banale Kanthölzer von sechs bis 12 Zentimetern Breite. Es sind diese Filetstücke, die das Tischlerherz am Ende höher schlagen lassen.

Der Rest, etwa die Hälfte der rund 800 Kilo Ausgangsmenge an Eiche, die wir geholt hatten, ist – zumindest was das Türprojekt angeht – Abfall. (Ist er natürlich nicht, wir haben schon Ideen …).

Die Filethölzer legen wir nach dem Besäumen und Auftrennen der Bohlen auf Böcke, zum Kantholzprobeliegen press aneinander, so dass wir sehen können, wie viel wir in der Breite zusammen bekommen.

Die Bohlen stehen zunächst an der Wand, jede so um die 100 Kilo schwer.Wir wuchten sie auf den Schlitten der großen Kreissäge. Das Blatt hat mit extra hartem Stahl quer verstärkte Zähne. Jedes normale Sägeblatt wäre nach der ersten Eichenbohle fertig und viele der geschränkten Zähne abgerissen. Das „Schränken“ eines Sägeblattes bedeutet: dessen Zähne abwechselnd nach links und rechts zu biegen, damit der Schnitt breiter wird als das Blatt dick ist.

Unser Extra-Blatt geht durch die Bohlen wie ein warmes Messer durch Butter. Mit dem Schlitten fahren wir die Bohle über das Blatt. Ich weiß nicht ob Säge oder Bohle. Aber sie schreit. So laut, dass wir Ohrschützer tragen. Sie schreit, im Duett und um die Wette mit der Absauganlage.

Der erste Schnitt trennt Rindenreste und Splint ab. Aus der konischen Baumform wird ein Rechteck. Nach jedem Schnitt fahren die Tischlerhände zärtlich über die Schnittkanten. Mit einem Messer werden Risse vertieft, Weichstellen bis auf den Grund aufgepult. Eriks strenge Blicke dulden keine Schwachstellen, die später das Auge beleidigen oder die Stabilität der Tür beeinträchtigen könnten. Bestreichelt, bepustet, bekratzt: So viel Aufmerksamkeit, nein: Liebe!, hat die hübsche Eiche lange Jahre nicht mehr erfahren, wenn denn je.

Mit dem Auftrennen der Bohlen löst sich manche Spannung im Holz. Eben noch kerzengerade geschnitten, verziehen sich die Hölzer wieder. Deshalb stehen für das Holz zunächst ein paar Ruhetage auf dem Programm, was Erik ihnen aber noch nicht verrät. Bis zum Hobeln jedenfalls ist es noch etwas hin. Der Hobel wird den Kanthölzern auf jeder Seite weitere vier Millimeter abnehmen, bis alle Unebenheiten beseitigt sind. Danach pressen sehr lange Schraubzwingen die verleimten Teile aufeinander und ziehen alles dann noch Krumme gerade.

26 Kanthölzer sind die Frucht dieses Nachmittags in der Tischlerei. Wir rücken sie zum Nachtrocknen noch etwas auseinander. „Wir geben ihnen ein paar Tage, damit sie sich austoben können,“ sagt Erik. Höre ich die Hölzer jubeln?

Es dauert, bis die Zentrifuge der Absauganlage sich müd‘ gelaufen hat. Ihr Gesang schraubt sich gleichmäßig vom Falsett zum Bass und von Fortissimo nach Pianissimo herunter. Ihr Auffangsack ist fast voll, sie hatte ganz schön zu schlucken.

Die letzten Flocken im transparenten Auffangsack hören auf zu tanzen. Licht aus, Tür zu. Jetzt wird sich der feine Staub in Ruhe absetzen. Morgen früh wird der Duft von frischem Eichenvollkornbrot verflogen sein.

Foto: Eichenbohle vor dem Ausbeinen.